Erklärung der Initiative unzensiert-lesen vom 8.6.2011

Staatsschutztheater

Nach der richterlichen Einstellung des ersten Gerichtsprozesses gegen den Buchladen ohschwarzer Stern21 wegen "Beihilfe zum Anleiten zu Straftaten" und "Verstoß gegen das Waffengesetz" hat die Staatsanwaltschaft nun alle anhängigen Verfahren gegen die Buchläden ohschwarzer Stern21, Schwarze Risse und Infoladen M99 eingestellt.

Die Durchsuchungswelle gegen die Berliner Buchläden begann 2009 zunächst mit Ermittlungsverfahren wegen eines antimilitaristisches Flugblatts und einer antimilitaristischen Internetseite. Im Zuge dieser Verfahren wurden der Buchladen Schwarze Risse und der linke Internetprovider so36.net von polizeilichen Durchsuchungen heimgesucht. Ermittelt wurde gegen "unbekannt".

Im Jahr 2010 folgten ab nun zeitgleich und mit identischen Vorwürfen mehrfach Durchsuchungen bei den Buchläden M99, ohschwarzer Stern21 und Schwarze Risse wg. Zeitschriften der autonomen Szene. Während die Ermittlungsverfahren zunächst gegen "unbekannt" geführt wurden, richteten sich die Durchsuchungsbeschlüsse ab Juli 2010 gegen die Geschäftsführer der jeweiligen Buchläden. Gegen sie wurde nun wg. Beihilfe zur Anleitung zu Straftaten und Verstoß gegen das Waffengesetz ermittelt.

Im Februar 2011 wurde der erste und einzige Gerichtsprozess unter verstärkten Sicherheitsvorkehrungen am Moabiter Amtsgericht gegen den Geschäftsführer des Buchladens ohschwarzer Stern21 eröffnet, doch das Verfahren wurde am zweiten Verhandlungstag auf Vorschlag des Richters nach §153 StPO (Strafprozeßordnung) eingestellt.

Wenige Tage später bot die Staatsanwaltschaft die Einstellung weiterer Verfahren nach 153 StPO an. Ende Mai wurden endlich auch die letzten Berliner Verfahren eingestellt.

Indessen dienten die Berliner Durchsuchungsbeschlüsse mehrfach als Vorwand für Durchsuchungen von Infoläden in München und Osnabrück. Zuletzt wurde am 11. Mai 2011 der Schanzenbuchladen in Hamburg wegen einer Ausgabe der Zeitschrift ZECK durchsucht.

Alles nur heiße Luft?

Die Ladenbetreiber von ohschwarzer Stern21, M99 und Schwarze Risse wurden wiederholt durch Durchsuchungen und die Beschlagnahmung der Arbeitsgeräte in ihrem Arbeitsalltag belästigt. Die Durchsuchungsbeschlüsse legitimierten, dass Unterlagen durchwühlt, Daten gesammelt und die Läden bzw. die Ladenbetreiber beobachtet wurden.

Nach anderthalb Jahren Staatschutztheater folgt nun die Einstellung der Verfahren durch die Staatsanwaltschaft. Es bleibt im Unklaren, wieso zunächst ein derartiger Aufwand betrieben wurde und nun die Verfahren sang- und klanglos eingestellt werden. Hatten die Staatsschutzbehörden von Anbeginn nur das Ausschöpfen ihrer Ermittlungsinstrumentarien verfolgt, um Informationen über die Läden, ihre Betreiber und ihre Kundschaft zu sammeln und die Buchhandlungen als Gefahrenorte zu markieren? Oder ist die ermittelnde Staatsanwaltschaft mit dem Versuch, die Rechtssprechung dahingehend zu verschieben, dass linke Buchhändler für die bei ihnen ausliegenden Inhalte strafrechtlich verantwortlich gemacht werden können, an der mangelhaften Beweislage, dem Druck der liberalen Öffentlichkeit, oder an unterschiedlichen Interessen innerhalb von Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz gescheitert?

Klar ist in jedem Fall, dass es sich um eine politisch motivierte Strafverfolgung gehandelt hat. Im Gespräch mit einem Journalisten hatte die Staatsanwaltschaft bestätigt, dass das Auffinden der inkriminierten Zeitschriften in "normalen" Buchhandlungen nicht dieselben Verfolgungsmaßnahmen nach sich ziehen würde. Diese Aussage bekräftigt die Einschätzung, dass es mit den Maßnahmen weniger darum ging, konkrete Inhalte oder Publikation aus dem Verkehr zu ziehen, sondern um die Kriminalisierung der Buchläden als Teil linker Infrastruktur und Orte der Gegenöffentlichkeit sowie um die Diskreditierung politischer Inhalte und Aktivitäten.

Doch mit ihrem Versuch, Berührungsängste zu schüren und einzuschüchtern ist die Repression gescheitert. Als Initiative unzensiert-lesen geht es uns darum, dass wir uns nicht vorschreiben lassen, welche Inhalte und Themen wir diskutieren und verbreiten. Wir glauben, dass wir mit unserer Kampagne Bewußtsein für die Notwendigkeit und die Verteidigung eigener Räume schaffen konnten. Ebenso positiv sehen wir die vielfältigen Solidaritätsbekundungen und die breite Unterstützung. Beides, eigene Strukturen und praktische Solidarität, werden wir auch in Zukunft brauchen, denn der nächste Angriff kommt bestimmt.


Einstellung aller Verfahren (4.6.2011)

In Eile erst einmal ganz kurz... In den letzten Tagen ist es nun schriftlich geworden: alle Ermittlungs- und Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit den über 20 Durchsuchungen gegen die Buchläden ohschwarzer Stern21, Schwarze Risse und den Infoladen M99 sind eingestellt worden.

Eine ausführlicherer Bericht und der Versuch einer Einschätzung ist in Vorbereitung und wird nach den Linken Buchtagen Ende nächster Woche veröffentlicht.

Unser Dank erst einmal allen für die zahlreiche Unterstützung und Solidarität!


Zum aktuellen Stand (21.4.2011)

Vor 1 1/2 Monaten wurde das Verfahren gegen den Buchladen ohschwarzer Stern21">ohschwarzer Stern21 eingestellt. Seitdem habt ihr auch von uns nichts mehr gehört. Keine Sorge, wir haben uns nicht still und heimlich aufgelöst. Unser Schweigen hat einen viel banaleren Grund: Es gibt schlicht nichts neues zu berichten. Die Einstellung des Verfahrens gegen den Buchladen ohschwarzer Stern21 kam auch für uns überraschend. Über die Gründe könnten wir nur spekulieren. Die anderen Verfahren gegen die Buchläden ohschwarzer Stern21, Schwarze Risse und den Infoladen M99 befinden sich weiterhin in der Schwebe. Über die Zulassung der Anklagen wurde bisher nicht entschieden.

Wo es jedoch noch viel Bewegung gibt, ist die vielfältige Solidarität und Unterstützung, die wir erfahren. Vielen Dank dafür!

Als nächste Solidaritätsveranstaltung zugunsten der Initiative unzensiert lesen findet am 10.Mai, 19:30 Uhr, das legendäre KiezBingo im SO36 statt, präsentiert von Inge Borg & Gisela Sommer und musikalisch begleitet von der Wild Flamingo Bingo Band.


Verbreitung von Viren

Wir mussten heute (29. April 2011) leider feststellen, dass es Angreifern gelungen ist, unsere Webseite zur Verbreitung von Viren zu nutzen. Einige haben sich eventuell schon über die Warnmeldung gewundert, die ihr Browser oder ihre Antivirensoftware beim Besuch unserer Seite ausgespuckt hat. Betroffen von diesem Angriff waren nur Besucher_innen, die Windows XP oder 2003 nutzen, die aktuellen Sicherheitsupdate nichts eingespielt haben und keine (aktuelle) Antivirensoftware nutzen. Wir haben unsere Webseite umgehend von sämtlichem Schadcode bereinigt als wir den Angriff bemerkt haben.

Wie es den Angreifern gelungen ist, das JavaScript in unsere Seite einzuschleusen, wissen wir bisher nicht. Klar ist, dass unsere Webseite seit (bisher) unbekannter Zeit ein schädliches JavaScript enthielt. Dieses hat versucht auf den PCs der Besucher_innen einen Virus oder Trojaner zu installieren. Die Angreifer haben dabei versucht eine ältere Sicherheitslücke von Windows XP und 2003 auszunutzen. Menschen, die diese Betriebssysteme nutzen, sollten ihren Computer mit einem aktuellen Virenscanner auf Viren und Trojaner überprüfen.


PRESSEMITTEILUNG vom 8. März 2011:

Viel Lärm um nichts?!
Erstes Strafverfahren gegen Berliner Buchhändler eingestellt!

Nach Durchsuchungen im Buchladen mit großem Polizeiaufgebot und der Anwendung verschärfter Sicherheitsmaßnahmen im Gerichtsverfahren auf die Prozessbesucher, wurde das erste Strafverfahren gegen den Geschäftsführer des Kreuzberger Buchladens ohschwarzer Stern21 am zweiten Verhandlungstag sang- und klanglos eingestellt. Selbst die Berliner Staatsanwaltschaft musste einsehen, dass die Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte für die Anklage lieferte.

Die Anklageschrift gegen den Geschäftsführer lautete auf "Beihilfe zu Anleitung zu Straftaten" und "Verstoß gegen das Waffengesetz". Hintergrund der Gerichtsverhandlung ist eine Reihe von Ermittlungsverfahren gegen drei Berliner Buchhandlungen und Infoläden, die seit 2009 mehrfach von polizeilichen Durchsuchungen betroffen waren. Die Berliner Staatsanwaltschaft strebt mit den Verfahren an, die Buchhändler für die Inhalte von Flugblättern und Zeitschriften verantwortlich zu machen, die in ihren Läden ausliegen.

Sollte sich die Staatsanwaltschaft mit dieser Position durchsetzen, könnten in Zukunft alle Buchhändler, Kneipenbesitzer oder Ladenbetreiber für die bei ihnen ausliegenden Flyer, Aufrufe und Zeitschriften haftbar gemacht werden. Man würde von ihnen verlangen, sich zur vorgeschalteten Znsursintanz staatlicher Behörden zu machen.

Der Ausgang des ersten Verfahrens hat nun gezeigt, dass die Staatsanwaltschaft mit diesem Anliegen nicht so einfach durchkommt. Die nun erfolgte Einstellung könnte auch richtungsweisend für die weiteren Verfahren sein.

Berichterstattung:


Berichte vom 1. Prozeßtermin am 18.2.2011

Erst einmal vielen Dank für das solidarische zahlreiche Erscheinen trotz der frühen Stunde.

Ungefähr 50-60 Menschen wollten den Prozeß begleiten. Statt des angekündigten Raums 455 war der Prozeß zwar verlegt worden, aber mitnichten in einen größeren Raum, sondern nach 101, um potentielle Zuschauer_innen mit der Sicherheitskontrolle zu schikanieren: Abtastung, Schuhe ausziehen, Perso vorlegen, alle Sachen inkl. Bücher waren abzugeben an pampige Justizbeamt_innen.

Nur 24 Zuschauer_innen wurden eingelassen. Selbst die Presse brauchte mehrere Versuche bis alle Reporter_innen eingelassen wurden. Die Leute, welche nicht eingelassen wurden, machten darauf vor dem Gericht eine spontane Kundgebung und harrten bei der Kälte lautstark bis zum Ende des Prozesses aus. Ihre vielfältigen Parolen und Texte waren zumeist gut im Gerichtssaal zu hören und munterten dort alle auf.

Nach knapp 2h wurde der Prozeß vertagt.

Nächster Prozesstermin: 8.3.2011, 11:00 Uhr, Amtsgericht Tiergarten, vermutlich wieder in Saal 101.

Ausführlichere Berichterstattung:

Ankündigung: 1. Prozeßtermin am 18.2.2011

Am Freitag, den 18.02.2011 um 9:00 Uhr soll der Prozeß gegen den Geschäftsführer des Buchladens ohschwarzer Stern21">ohschwarzer Stern21 im Raum 455 des Amtsgerichtes Tiergarten stattfinden.
Der Prozeß ist öffentlich und wir freuen uns über zahlreiche Unterstützer_innen im Gerichtssaal!

Im letzten Jahr haben die Berliner Staatschutzbehörden wiederholt die Buchläden M99, ohschwarzer Stern21 und Schwarze Risse durchsucht, Zeitschriften und Flugblätter beschlagnahmt, Computer entwendet und Strafverfahren eingeleitet. Am Freitag, den 18.2. um 9.00 Uhr soll der erste Prozeß gegen den Geschäftsführer des Buchladens ohschwarzer Stern21 wegen "Anleitung zu Straftaten" (§130a StGB) und "Verstoß gegen das Waffengesetz" im Raum 455 des Amtsgerichtes Tiergarten stattfinden.

Pressekonferenz

Zum Auftakt des Prozesses hatte die Initiative unzensiert-lesen am Mittwoch,den 16.2.2011 zu einer Pressekonferenz eingeladen. Außer einer Vertreterin der Initiative und dem Rechtsanwalt Sven Lindemann nahmen der Autor Dietmar Dath und Thorsten Gehl vom Netzwerk WikiSpeak Stellung zu dem Verfahren.

"Die Interim gibt es seit 1988. 22 Jahre ist keiner auf die Idee gekommen, deswegen, weil es die Interim gibt und weil sie da schon immer vertrieben worden ist, zu versuchen, die Buchläden zu kriminalisieren. Das wird jetzt versucht. Da könnte man ja auch fragen: "Hat die Staatsanwaltschaft eigentlich 22 Jahre gepennt? Hat sie sich möglicherweise der Strafvereitelung im Amt schuldig gemacht, das sie da keine Verfahren eingeleitet hat? Oder versucht sie nicht eigentlich - und davon gehe ich vielmehr aus - ein neues Kapitel von Repression aufzuschlagen und quasi eine Reise rückwärts in die siebziger und achtziger Jahre zu machen. Es ging ja damals soweit, das Drucker in Untersuchungshaft saßen, weil sie Broschüren gedruckt haben, das Ganze also noch weiter vorverlagert worden ist." (Rechtsanwalt Sven Lindemann auf der Pressekonferenz von unzensiert-lesen.de)

Grossen Dank an das Umbruch-Bildarchiv mit dessen Hilfe wir einen vollständigen Audiomitschnitt der Pressekonferenz anbieten können:

Einschätzung des Prozesses

Sollte es am 18. Februar zu einer gerichtlichen Verurteilung kommen, würde dies eine Verschiebung der Rechtssprechung dahingehend bedeuten, dass BuchhändlerInnen für die bei ihnen ausliegenden Texte strafrechtlich verantwortlich gemacht werden können. Dies hätte eine neue Qualität! Doch geht es nicht nur um die Dimension einer juristischen Verurteilung. Angesichts der Tatsache, dass Publikationen in Zeiten des Internets nicht unter Verschluss zu halten sind, und dass die Staatschutzbehörden immer wieder bei denselben vier Läden aufgetaucht sind, ist von einer politisch motivierten Strafverfolgung auszugehen, die weniger das Ziel verfolgt, bestimmte Zeitschriften möglichst vollständig aus dem Verkehr zu ziehen, als die Kriminalisierung und Einschüchterung der betroffenen Projekte. Die Fokussierung auf Gewalt - in den Durchsuchungsbeschlüssen und häufig auch in der öffentlichen Berichterstattung - ist nur das Mittel, um linksradikale Kritik und Praxis als Verbrechen zu diffamieren. Der angewendete §130a (Anleitung zu Straftaten) ermächtigt als sogenannter Ermittlungsparagraph die Staatschutzbehörden, eine Szene mittels Observationen, Durchsuchungen und Beschlagnahmungen von Datenträgern zu durchleuchten.

Linke Buchläden sind zentraler Teil linker Infrastruktur. Sie sind Schnittstellen zwischen breiter Öffentlichkeit, linken Strömungen und Subkulturen. Sie sollen mit solchen Verfahren unter Druck gesetzt werden, als vorgelagerte Zensurbehörde des Staates zu fungieren. Politische Berührungsängste werden geschürt. Von diesem Kriminalisierungsversuch sollten sich daher ALLE betroffen fühlen, die Flugblätter, Plakate und Broschüren auch in Zukunft in Buchläden auslegen oder vorfinden möchten; alle, die die Läden als Kontaktadresse nutzen, die Bustickets nach Dresden oder ins Wendland kaufen möchten und all diejenigen, die linke Buchläden schätzen, weil sie dort in einem Bücherbestand stöbern können, der weitestgehend unabhängig von kommerziellen Kriterien zusammengestellt wird und frei von staatlicher Zensurvorgabe!
Der Prozeß ist öffentlich und wir freuen uns über zahlreiche Unterstützer_innen im Gerichtssaal!


=> Weitere Meldungen in unserer unvollständigen Chronik

Unzensiert lesen

Aufgrund der Kriminalisierung der Buchläden hat sich die Initiative Unzensiert-lesen gegründet. Die Initiative veröffentlichte Anfang Dezember den Aufruf: Wir wehren uns gegen staatliche Zensurversuche!, den inzwischen über 1300 Personen oder Gruppen unterzeichnet haben.