junge Welt vom 10.3.2011: Prozeß gegen Buchhändler eingestellt

Von Florian Möllendorf

Berlin: Erstes Verfahren wegen der Auslage der Zeitschrift interim endet ohne Urteil

Der Prozeß gegen den Geschäftsführer des Kreuzberger Buchladens »oh21« endete am Dienstag in Berlin vor dem Amtsgericht Tiergarten überraschend mit der Einstellung des Verfahrens. Seit dem 18. Februar stand der 50jährige Frank C. wegen »Anleiten zu Straftaten« (Paragraph 130a StGB ) und »Verstoß gegen das Waffengesetz« ( Paragraph 40 WaffenG) vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft warf dem Buchhändler vor, die Zeitschrift interim »einem nicht eingegrenzten Kundenkreis griffbereit zur Verfügung gestellt und zumindest billigend in Kauf genommen zu haben, daß der Inhalt bestimmter Ausgaben an die Öffentlichkeit gelangt«.

2008 waren die Läden »oh21«, »Schwarze Risse«, »M99« und »Red Stuff« in Berlin von zahlreichen Razzien des Landeskriminalamtes betroffen. In den meisten Fällen waren die Beamten auf der Suche nach der Zeitschrift interim. In einigen der beschlagnahmten Ausgaben befinden sich zum Beispiel eine Anleitung zur Herstellung von Brandflaschen und ein Bekennerschreiben zu einem Anschlag auf einen Geldautomaten. Laut Anklage sollen die Buchhändler die interim selbst ausgelegt haben und über den Inhalt des Blattes informiert gewesen sein.

Ulrich von Klinggräff, einer der Verteidiger von C., kritisierte zu Beginn des Verfahrens, daß Zuschauer nur über einen gesonderten Zugang in den Verhandlungssaal gelangten. Die Besucher mußten eine intensive Durchsuchung über sich ergehen lassen und das Kopieren ihres Personalausweises akzeptieren. »Eine solche Kriminalisierung der Öffentlichkeit entbehrt jedem sachlichen Grund und verletzt den Öffentlichkeitsgrundsatz des Verfahrens«, so Klinggräff.

Nach stundenlangen Verhandlungen über das Unterlassen der Einlaßkontrollen stellte die Verteidigung ob der harten Linie des Vorsitzenden Richters einen Befangenheitsantrag. »Das Gericht vermittelt durch die scharfen Sicherheitsvorkehrungen ein Bild des Angeklagten als besonders gefährliche Persönlichkeit«, hieß es in der Begründung.

Nach einem weiteren Versuch, endlich mit der Zeugenbefragung beginnen zu können, unterbrach der Vorsitzende Richter die Verhandlung erneut und verkündete kurze Zeit später die Einstellung des Verfahrens. »Der Vorstoß des Gerichts kam auch für uns überraschend«, so Klinggräff gegenüber junge Welt. Was die Einstellung des Verfahrens für künftige Prozesse bedeute, vermochte er nicht einzuschätzen.

Quelle: junge Welt vom 10.3.2011: Prozeß gegen Buchhändler eingestellt