ND vom 24.11.2010: Repression verfeinert

Von Peter Nowak

Razzien in Buchläden wegen Publikationen, die linke Gruppen dort auslegen, mehr als 1000 Ermittlungsverfahren gegen Menschen, die zum Schottern aufrufen, die Renaissance der Totalitarismustheorie – all das scheint zu bestätigen, was in der Linken derzeit oft zu hören ist: Die staatliche Repression wird immer schlimmer. Der Hamburger Publizist und Rechtsanwalt Oliver Tolmein relativiert diese These mit Blick auf die Entwicklung der letzten 30, 40 Jahre. Bei einer Veranstaltung in Berlin erinnerte er mit zwei Beispielen an die Verhältnisse im sogenannten Deutschen Herbst in den späten 70ern. Damals behinderte die Polizei Atomkraftgegner auf dem Weg zu angemeldeten Demonstrationen. Und vermeintliche Drucker und Herausgeber der linken Zeitschrift »Radikal« wurden zum Teil über einen längeren Zeitraum inhaftiert. Die Gerichtsverfahren zogen sich über Jahre hin. Dennoch gibt es die Zeitschrift mit größeren Pausen bis heute. Die staatliche Repression habe in dem Fall ihr Ziel nicht erreicht, so Tolmein. In der Diskussion um Extremismusklauseln sieht der Politologe Fritz Burschel ebenfalls Parallelen zu den 70er Jahren. Heute müssen sich zivilgesellschaftliche Gruppen gegen rechts zur »freiheitlich demokratischen Grundordnung« bekennen, wenn sie staatliche Finanzierung wollen und sollen dies auch für alle Bündnispartner zusichern. Damals wurden in Westdeutschland Bewerber für den öffentlichen Dienst auf ihre Verfassungstreue überprüft. Schon eine Unterschrift für eine linke Initiative oder die Mitgliedschaft in der DKP reichte aus, um nicht Lehrer, Briefträger oder Lokführer werden zu können. Mit den technischen Möglichkeiten hat sich die Repression allerdings verfeinert. Wenn ein User auf Facebook den »Gefällt mir«-Button anklickt, um damit politische Inhalte wie das Schottern des Castorgleises oder die Blockade eines Naziaufmarsches zu bewerteten, kann das schon strafrelevant sein, betont die Bloggerin Anne Roth. In den 70er Jahren geriet die Bundesrepublik wegen ihres Umgangs mit Andersdenkenden im In- und Ausland in die Kritik und selbst frühere Verfechter des »Radikalenerlasses« bezeichneten ihn später als Fehler. Dazu trug eine Bewegung bei, die von der radikalen Linken bis in gewerkschaftliche und liberale Kreise reichte. Die Solidaritätskampagne für die linken Buchläden, deren Betreiber sich für die Inhalte der bei ihnen ausgelegten Flyer und Zeitschriften verantworten müssen, steht noch am Anfang. Sie ist aber am Wachsen.